Zum Inhalt springen

Trump und Putin, die besten Medizinmänner für Europa

    Trump-Putin-Alaska-Treffen. Was wird passieren? Trump landet in Anchorage mit der Boeing 747 10:55h. Nur 13 Minuten später landet sein Gast Putin mit seiner Ilyushin II und parkt gleich neben der Air Force One. Welche Ziele führen die beiden „Freunde“ zusammen? Ist das ein Friedens-Gig, oder eine Reality-Show? NZZ kommentiert: ein Desaster auf dem roten Teppich. Und doch das Verblüffende: vereint zeigen Sie sich als perfekte Medizinmänner für das schwer in Verzug geratene Europa.

    15.08.2025, Anchorage Alaska: Trump und Putin, zwei ziemlich beste Freunde auf politischer Expedition.
    15.08.2025, Anchorage Alaska: Trump und Putin, zwei ziemlich beste Freunde auf politischer Expedition.

    Was verbindet Trump und Putin?

    Trotz unterschiedlicher Herkunft und politischer Systeme eint sie überraschend viel: Beide verstehen es, Krisen zu inszenieren – und sich selbst darin als „unverzichtbare Männer“ darzustellen, als starke Führungsfiguren, die Stabilität und Fortschritt versprechen. Sie verpacken ihre politischen Botschaften als populistische Werbekampagnen und binden ihre Anhängerschaft durch Verheißungen und Selbstinszenierung. Der eine arbeitet an seinem Platz in den Geschichtsbüchern, der andere – so scheint es – auf einen Nobelpreis. Aber was wollen sie wirklich in der Ukraine? Und was bedeutet das für Europa?

    Trump und Putin – Europas unbequeme Augenöffner

    Beide Präsidenten taugen durchaus als Analysten – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise.
    Putin konfrontiert Europa mit den Versäumnissen der letzten Jahrzehnte: mangelhafte Verteidigungsbereitschaft, strategische Naivität und ein tiefsitzender Glaube an ewigen Frieden. Er demonstriert, wie leicht Europa mental destabilisiert werden kann – durch Angst vor seinem Atomwaffenarsenal und durch gezielte Desinformation, verbreitet von Trollfabriken und Bots zu minimalen Kosten. Mit Drohnenflügen und Grenzverletzungen provoziert er an der fragilen NATO-Ostgrenze. Seine hybriden Angriffe entlarven Europas unzureichende Abwehrfähigkeit. Die Parole „Frieden schaffen ohne Waffen“ ist der harten Realität gewichen. Es entsteht der Eindruck: strategisches Vorausdenken gehört nicht zu den Stärken des Staatenbundes. Die politische und militärische Anpassung an die neue Lage erfolgt nur zögerlich – in homöopathischen Dosen.

    Trump dagegen liefert den Weckruf. Er führt Europa ungefiltert vor Augen, wo es an Klarheit und Konsequenz fehlt: bei der Energieabhängigkeit durch Nord Stream 1 und 2, bei der chronischen Unterfinanzierung des NATO-Beitrags. Für ihn ist das schlafwandelnde Europa ein Fremdkörper – unbeweglich, bequem, zu langsam. Anders als die USA: Dort speist sich politische Kraft noch immer aus der Freiheitsidee, die das Land als Zentrum der westlichen Welt trägt.

    Und wo steht Europa?

    Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich Europa – trotz aller Integrationsbemühungen – noch immer nicht zu einer handlungsfähigen Einheit gefunden. Brüssel bleibt oft Symbol für politische Fragmentierung. Europa ist abhängig – von Sicherheitsgarantien, von Energie, von wirtschaftlicher Dynamik aus anderen Kraftzentren. Dieses Gefühl von „geborgter Stärke“ wirkt lähmend – auf das Selbstbewusstsein von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

    Im Links und Rechts verglüht Europas Einheit.

    1. Es lohnt sich, an die Aufbruchsstimmung der 1990er-Jahre zu erinnern: Trotz der Schatten von Tschernobyl und der Golfkriege war diese Dekade geprägt vom Fall der Berliner Mauer – einem Ereignis, das die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte und den Ost-West-Konflikt beendete. Der Maastricht-Vertrag trat in Kraft, und am CERN entwickelte Tim Berners-Lee das World Wide Web. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wuchs der Glaube an eine Art demokratische Ewigkeitsgarantie. Europa sah sich auf einem unaufhaltsamen Weg in eine bessere Zukunft. Getragen von diesem Gefühl der Unverwundbarkeit schlug die Gesellschaft zunehmend sozial-liberale Töne an und stärkte den Sozialstaat. Offene Märkte brachten Wohlstand – vielleicht in einem Maße, dass daraus eine gewisse Bequemlichkeit entstand.
    2. Doch ab 2017 kündigte sich eine Wende an: Die NATO, lange Garant des Friedens in Europa, wurde von Donald Trump als „obsolet“ bezeichnet und vom französischen Präsidenten Macron als „hirntot“. Nach der Corona-Pandemie 2020 folgte 2022 Putins offener Angriff auf die Ukraine – mit allen weitreichenden Konsequenzen. Hinzu kommen hohe Energiepreise, wachsende Bürokratie, eine schleppende Innovationskraft und in vielen EU-Ländern eine historisch hohe Staatsverschuldung. In Erwartung schwieriger Zeiten orientiert sich die Gesellschaft zunehmend nach rechts – national und identitär. Europa, noch benommen vom langen Friedensrausch, wirkt schwach und orientierungslos. War das vorhersehbar?
    3. Erst spät erkennt Europa, dass es lernen muss, sich auf die eigenen Kräfte zu verlassen – und diese gezielt zu bündeln. Vielleicht braucht es nun eine starke Führungspersönlichkeit, die Europa widerstandsfähiger macht. Doch eine solche Figur ist derzeit nicht in Sicht. Und so sucht Europa erneut die Hilfe der USA – diesmal ausgerechnet bei Donald Trump, als „Leader of Last Resort“.

    Europäische Bittsteller drängen zum Oberlehrer Trump

    Der Offenbarungseid kommt von der europäischen Schülervertretung: Keir Starmer, Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Alexander Stubb und Ursula von der Leyen – sie alle reisten an, um Donald Trump eine gemeinsame europäische Position zur Ukraine zu präsentieren. Der Erfolg dieser „Klassenfahrt“? Fehlanzeige. Weder Waffenstillstand noch Friedensgespräche sind in Sicht. Zum krönenden Abschluss servieren Trump und Putin eine Zirkusnummer – mit Konfetti aus der Kanone, aber ohne Substanz.

    Hat Europa den Niedergang verdient?

    Trump und Putin sind sich einig: Ja.
    Europa – das trägen Kompromissapparat aus Brüssel – gilt ihnen als Symbol einer erschöpften Demokratie. Was bleibt, ist ein Staatenbund, der sich im Vergleich zu den geopolitischen Konkurrenten USA und China wie ein europäisches Nokia-Modell anfühlt: einst führend, heute überholt.
    In der Bevölkerung dominiert die Angst vor Wandel, vor disruptiver Innovation. Der Sozialstaat hat sich in das Mantra geflüchtet: „Das spaltet die Gesellschaft“ oder „Nobody walks alone“. Für Trump und Putin ist das ein Lehrstück politischer Selbstlähmung – und sie beobachten den Rückgang europäischer Handlungsfähigkeit mit Genugtuung.

    Putin steigt aus der Staatskarosse, geladen durch Trumps Einladung – die perfekte Inszenierung gegenseitiger Anerkennung. Europa steht derweil an der Seitenlinie und fragt sich: Können wir vielleicht von beiden lernen?

    Sind Trump und Putin unsere „besten Freunde“?

    Offenbar ja.
    Lehrmeister Putin steht für die Schule der harten Hand: kompromisslos, zielgerichtet, brutal effektiv. Europa müsste nachrüsten – in Infrastruktur, Wirtschaft, Politik und Verteidigung. Mehr Leidensfähigkeit bei der Umsetzung eigener Interessen. Mehr Mut zur Selbstbehauptung. Und mehr Unterstützung für Innovation – in Universitäten und Unternehmen. Europa braucht einen „Turnaround“ – mit der Unerbittlichkeit eines Putin. Koste es, was es wolle.

    Lehrmeister Trump dagegen zeigt: Der Wille ist der Weg. Die Umsetzung einer Idee in politische Macht – koste es notfalls die Etikette. Die europäische Hauptstadt der Dauerverhandlungen aber liefert: Alibi-Treffen, statt entschlossenem Handeln. Zukunft lässt sich nicht auf Pump kaufen – sie muss erarbeitet werden, durch Kreativität, Risikobereitschaft und echte Reformen. Learn, baby, learn!

    Und die Moral von der Geschicht’?

    Wer nur diskutiert und bei „1, 2, 3“ nicht mit am Tisch der Entscheider sitzt, landet auf der Speisekarte.
    Vielleicht als Dessert. Als Lohn – für unsere besten Freunde.

    1 Gedanke zu „Trump und Putin, die besten Medizinmänner für Europa“

    1. Hallo Kay,
      ich habe diesen Blog nochmal gelesen, dazu einige Gedanken.
      In Europa ist viel in den letzten Jahrzehnten geschehen und wir haben ( fast ) alle davon profitiert, nur die Idee Europa kam nicht weiter. Die Wenigsten hat das gestört.
      „Sind Trump und Putin unsere besten Freunde“?
      Sicher kann Europa von beiden lernen, nur dass jeder der Europäischen Staatenlenker andere Schlüsse aus den Vorgaben zieht und Brüssel nicht die Kompetenz und Durchsetzungskraft hat einen gemeinsamen europäischen Weg zu finden und auch durchzusetzen. Europa ist im Grunde eine große Freihandelszone, mit Subventionen für die schwächeren. Im Grunde sind die meisten Mitgliedsstaaten „Königreiche“ mit einem alten und immer noch gepflegten, „Nationalstolz“ welche in erster Linie ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Zugeständnisse lässt man sich dann auch gerne abkaufen. Wie soll sich da „Brüssel“, oder wer auch immer, bei 1-2-3 an den Tisch der Entscheider setzen?
      Ob der Druck von außen da genügt das zu ändern wage ich zu bezweifeln.

      Mit besten Grüßen und gute Zeit

      Wolfgang

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert