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Warum die alte Mitte schmilztPolitik muss Pespektiven entwickeln2. März 2020

    Während eines Interviews malte Frau Kipping mit den Fingern ein Hufeisen in die Luft…  Ihre Handbewegung zeigt die Dynamik der Parteien links wie rechts von der Mitte. Beide Seiten drängen dynamisch nach oben, während die Mitte SPD/CDU implodiert. Das U-förmige Hufeisen ist entstanden.

    Stimmt das? Und wenn ja, warum?

    Mit Blick auf die SPD/CDU stellt Eric Gujer von NZZ am 28.02.2020 fest: „Während die Sozialdemokraten einen Hang zur Selbstzerstörung, … und zur Demontage ihres Spitzenpersonals haben“ …”glaubt die CDU in der Spätphase Merkels, im Halbschlaf verdösen zu können”.

     

    Das Kippingsche Hufeisen
    Das Hufeisen-Zeichen von Katja Kipping: ist das Symbol der politischen Gegenwart richtig?

    Es mag sein, dass in der großen Koalition wichtige gesetzliche Grundlagen für das Bürgergeld geschaffen wurden.
    Das ist natürlich sozialdemokratisch getriebene Klientelpolitik, auch im Namen der CDU. Wer ist nun Koch, wer ist Kellner? Die Orientierung fällt heute schwer. Erinnern wir uns an die Vergangenheit, als beide Parteien im Wettbewerb um Stimmen warben.

    Warum die politische Mitte stark war

    Die 90er Jahre. Wir feierten das überlegene Wirtschaftssystem und die schwierige Bewältigung der Wiedervereinigung, wir waren Papst und Weltmeister in Formel 1. Wir partizipierten von dem Führungsanspruch der Automobilkonzerne BMW, VW, Mercedes. Dazu entwickelte sich der Mittelstand mit vielen ”hidden champions“.

    Auch für den Bürger war der Erfolg erlebbar: Wer mit einem deutschen Pass im Ausland unterwegs war, erntete Anerkennung für den bewundernswerten Fortschritt. Deutschland war Musterknabe der Demokratie.
    Man kann sagen: Wenn es aufwärts geht, ist links eher en vogue als rechts.

    Es gab eine lange Phase des deutschen Aufstiegs, begonnen lange vor der Willi-Brandt-Ära 1970 bis zum legendären Fußball-Sommermärchen. Diese homogene Mitte gibt es nicht mehr. Die NZZ vom 09.03.2020 schreibt: „Mit einer sich zersplitternden Mittelschicht, Wohlstandsverlierern und politischen Beben in Grossbritannien, Deutschland sowie den USA“… ist die bekannte Gesellschafts-Ordnung des Zukunftsoptimismus verloren gegangen.

    Warum die politische Mitte heute implodiert

    Mit der Finanz Liquiditätskrise in 2008 hat die Welt gewankt. Es gab Gewinner und Verlierer. Das spiegelt sich in der Auffächerung der Gesellschaft wider, ebenso – wie mir scheint – im Führungswillen zukunftsorientierter Unternehmungen.
    Dazu ein paar markante Schlaglichter: Auf der Strecke geblieben ist der Transrapid, während er demnächst in China auf einer Strecke von ca. 1000 km unterwegs sein wird. Schlaglicht: Brennstoffzelle, ein Kernstück der umweltschonenden Mobilität.  Schlaglicht: Der Börsenwert von Tesla überholt VW. Der Diesel-Skandal ramponiert nicht nur die Branche, sondern auch die „Made in Germany“-Marke. Ebenso problematisch der schleppende Ausbau des Mobilfunks oder der Stromautobahnen von Norden nach Süden. Wo ist die Strahlkraft der Bank geblieben, die das „Deutsch“ im Namen trägt? Warum wird visionäre Architektur nur außerhalb Deutschlands in die Tat umgesetzt? Warum gibt es keine deutschen „Killer-Applikationen“ im Bereich IT?

     

    Dynamik der Politische Flügel Rechts und Links
    Die politischen Flügel Rechts und Links sind stark, weil die Mitte schwach ist.

     

    Und noch weitere Ereignisse

    Am Beispiel des Berliner Flughafens BER qualifizieren wir uns als Weltmeister der Inkompetenz. Wir sind weltmeisterliche Bremser: siehe Blockadeversuch zur Vorbereitung der Tesla-Giga-Fabrik in Brandenburg. Warum haben diese Gruppen große Sympathien in der Öffentlichkeit, wenn es um Veränderung in Richtung Zukunft geht? Genannt sei hier z.B. der Ausbau von Stuttgart 21. Warum hat bei solchen Zukunftsfragen die ältere Generation das Sagen, wenn es sich um Themen handelt, die sie nicht mehr betrifft?

    Die Summe der negativen Nachrichten besagt: Wir erreichen nicht mehr das, was die Mitte der Gesellschaft einmal geschafft hat. Die Gegenwart scheint normal zu sein, aber das frühere Selbstbewusstsein ist implodiert. Gemeinsamkeiten schwinden und parallel dazu die Mitglieder der Volksparteien. Die Folge: Identifikationsmöglichkeiten werden woanders gesucht.
    Man kann sagen: Wenn es abwärts geht, ist rechts eher en vogue als links.

    Das Entscheidende: die Mangelversorgung an Stolz

    Die angstbesetzte Zukunft kreiert eine lautlose Bewegung der Verlierer und Frustrierten. Diese Bewegung faltet sich zu einem Gebirge auf. In deren abgelegenen Tälern werden neue Stärken gesucht, die sie in aufkommenden rechten Bewegungen finden.  In der Mitte ist die Unterversorgung an Identifikation das Drama. Die Energien für Fortschritt in Kultur, Architektur und Technik sind zu schwach – und damit der Blick auf eine positive Zukunft.

    Das banale Ergebnis: Die Erfurter Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich ist nur Symptom für die Summe fehlender zukunftsweisender realer Projekte. Die gefühlte Zukunftsleere ist in Berlin angelegt und kann nicht mit Appellen des CDU-Parteitagsbeschlusses kompensiert werden. Die Berliner Planlosigkeit der Zukunftsgestaltung wird in Erfurt deutlich. Die Parteien der Mitte sind dabei, sich selbst abzuschaffen.

    Wie früher in den Jahren des Aufstiegs waren alle Parteien Teil des ganzen Erfolgs. Das „psychologische Brutto-Sozial-Produkt“ war der Stolz auf das „Wir“. Das hat dem Parteiengefüge über Jahre Stabilität gegeben. Kann es heute eine Wende zurück zu dem gemeinsamen „Wir“ geben?

    Die Rückgewinnung der politischen Mitte

    Die Diagnose: Es fehlt die Faszination für das Zukünftige, das weder für Deutschland noch Europa formuliert ist.  Es ist zulange auf nur „Auf-Sicht-gefahren“. Das darf es in der „Nach-Merkel-Ära“ nicht mehr geben.

    Darum muss es die Zivilgesellschaft richten: mit konkreten mutigen bis utopischen Projekten. Unser Projekt ist es, die junge Generation für die vielen Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung zu begeistern.  Das Ziel: Wir sind das Europa wir sind führend und erfolgreich. Der Airbus ist eine gute Blaupause, ein beispielhafter Anfang.

    Fakt ist: Deutschland und Europa sind bei vielen Innovationen abgehängt. Es gilt jetzt, Einrichtungen in Universitäten, in Unternehmen, in der Wissenschaft, in Kultur und Architektur sowie im Sport so zu unterstützen, dass die Aufholjagd gewonnen werden kann. Denn wir sind in einem Wettbewerb nicht nur mit Unternehmen, Regionen und Ländern, sondern mit Kontinenten. Nur durch eine Zukunft bejahende mutige und handelnde Gesamtleistung, die ökologisch Notwendigkeiten und wirtschaftliche Innovation versöhnt, kann das gelingen. Mit dem Erfolg wird die politische Mitte wieder entstehen, vertreten durch andere, jüngere Parteien.

    Noch ist es nicht soweit. Noch hat Katja Kipping mit ihrer U-Handbewegung recht.

     

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